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Die funktionale Trennung zwischen EU und NATO als Beitrag zur vernetzten Sicherheit

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Catherine Ashton und Anders Fogh Rasmussen. Grafik: nato.int

Für Deutschland und Europa bilden NATO und EU die beiden institutionellen Rahmen, in denen sich internationale Verteidigungs- und Sicherheitspolitik abspielt. Doch sowohl die NATO als militärisches Bündnis als auch die EU als Staatenverbund besonderer Gestalt befinden sich seit gut zwei Jahrzehnten auf der Suche nach einem klaren Kurs hinsichtlich ihrer strategischen und geopolitischen Aufgaben, ihres äußeren Handelns und letztlich auch ihrer geographischen und thematischen Zuständigkeitsbereiche. In der Weiterentwicklung und Reform von EU und NATO gilt es, die unterschiedlichen Wesensmerkmale dieser beiden so verschiedenen Organisationen anzuerkennen und Doppelstrukturen zu vermeiden. Die Furcht vor der gegenseitigen Nivellierung beider Organisationen ist oft ausgedrückt worden. Seit Maastricht und Lissabon und unter dem Eindruck eines vermeintlich schwindenden amerikanischen Interesses an Europa habe die NATO an Existenzgrundlage eingebüßt. Andersherum wird postuliert, die Bestimmung eines verteidigungs- und sicherheitspolitischen Pfades der EU sei schlichtweg unnötig, da dies bereits durch die NATO in Anlehung an den unersetzbaren transatlantischen Partner abgedeckt sei. Dieses Denken in schwarz und weiß, in ganz oder gar nicht, wird dem Facettenreichtum dieser Problemstellung nicht gerecht und verkennt die Fähigkeiten und Chancen beider Organisationen

Die EU ist in ihrem Grundgedanken kein Militärbündnis. Umgekehrt ist die NATO ursprünglich kein politischer oder gar ökonomischer Staatenverbund. In ihrer historischen Entstehung und ihrer Funktions- und Arbeitsweise unterscheiden sich EU und NATO grundlegend. Beide Organisationen haben ihre Stärken, umgekehrt aber auch ihre Schwächen. Nicht zuletzt wird gerade am Beispiel der Türkei auch deutlich, dass unterschiedliche Mitgliedstaaten unterschiedliche Voraussetzungen schaffen. Für Deutschland und andere Bündnispartner und Mitgliedstaaten eröffnen sich verschiedene Erfahrungshorizonte in der Schnittmenge beider Organisationen, was beispielsweise Krisenpräventionsmechanismen, Friedenssicherung oder erfolgte Auslandsmissionen betrifft. Es gilt aus der Andersartigkeit von EU und NATO Wert zu schöpfen, diese zu nutzen und jeweilige Schwächen komplementär zu ergänzen. Wie dies geschehen kann, ließ Verteidigungsminister Thomas de Maizière in seiner Eröffnungrede der 49. Münchner Sicherheitskonferenz anklingen:

“Wir Europäer sollten künftig etwas leisten können, was andere (zum Beispiel die NATO) so nicht leisten können, dabei aber nicht die NATO duplizieren, sondern komplementär zur NATO. Ich denke hier insbesondere an den Bereich der zivilen und zivil-militärischen Zusammenarbeit, der in der öffentlichen Wahrnehmung und in der Umsetzung eher ein Schattendasein führt. [...]

Der Prozess des Aufbaus und der Schaffung von nachhaltig friedenserhaltenden Strukturen, gerade auch mit dem Aufbau von Sicherheitsstrukturen, ist hoch komplex. Das ist auch eine Lektion aus Afghanistan. Wir Europäer können auf eine stetig wachsende Erfahrung bei langfristiger Stabilisierung, Wiederaufbauhilfe und humanitären Einsätzen zurückgreifen. Die EU macht das – ich sage endlich – in Somalia mit beginnenden kleinen kleinsten Erfolgen. Die EU könnte also die Verzahnung von militärischen, politischen und ökonomischen Einsätzen komplementär zur NATO leisten. Also nicht: NATO oder EU, sondern NATO und EU – in kluger Arbeitsteilung.”

Nun kann man diese Aussagen so deuten wie die Frankfurter Rundschau und daraus schließen, die EU müsse in Nischen vordringen, die die NATO bislang unbesetzt gelassen habe. Dieses Deutungsmuster verkennt wesentliche Merkmale des zu steuernden Kurses. NATO und EU müssen künftig im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik als gleichwertige Partnerorganisationen auf Augenhöhe agieren, damit Synergieeffekte in der Zusammenarbei erzielt werden können. Aufgabenbereiche müssen klar getrennt werden, allerdings einhergehend mit der gegenseitigen engen Vernetzung dieser Aufgabenbereiche. Die EU soll sich somit nicht um Aufgabenbereiche kümmern, die noch übrig sind und brach liegen. Vielmehr muss bei einem etwaigen Eingreifen in Krisenherde nach einer Ratifizierung der VN ein gemeinsamer Mechanismus von NATO und EU entwickelt werden, der, das gesamte Spektrum abdeckend, vom unmittelbaren militärischen Eingreifen im Rahmen des Kampfeinsatzes über die zivil-militärische Komponente bis hin zu zivilen, politischen, ökonomischen, entwicklungspolitischen oder polizeilichen Hilfeleistungen einen Einsatz durchplanen könnte. Der NATO würde entsprechend ihrer Fähigkeiten – idealtypisch konstruiert – die Komponente Kampf obliegen; der EU die darauf folgende Komponente Friedensbildung oder -sicherung. Die NATO kann nun einmal besser verteidigen und kämpfen, dazu wurde sie im Kern geschaffen. Und die EU hat nun einmal ganz andere Möglichkeiten, wirtschafts- und entwicklungspolitisch von außen, aber auch bezogen auf die innere Sicherheit in einem Krisenstaat zu wirken, etwa mit Ausbildungsmissionen, wie künftig in Mali.

Der Verteidigungsminister hat mit KFOR und EULEX sowie mit Afghanistan zwei Beispiele genannt, in denen nicht auf diese Weise verfahren wurde und wo sich Probleme ergeben haben. Gleichzeitig bieten sich hier Chancen für EU und NATO, Aufgaben künftig besser zu verteilen und damit besser zusammenzuarbeiten. Insbesondere eine Weiterentwicklung von EULEX zur Lösung eines Konflikts auf europäischem Boden, der von der EU langfristig zu lösen sein wird, wäre wünschenswert. Ferner gilt es, bestehende Mechanismen, wie etwa die NATO Response Forces, Standing NATO Groups, EU-Battlegroups, Eurokorps und die verschiedenen Kontingente für die Auslandsmissionen zu Land und auf See besser zu koordinieren. EU und NATO sollten in den Augen der nationalen Truppen nicht als Konkurrenten um Personalkapazitäten und Einheiten auftreten. Denkbar wäre im Rahmen der EU auch ein festes, deutliches Kontingent von Polizei- und Ausbildungskräften, die ständig für eine Entsendung im Rahmen von Ausbildungsmissionen bereitstünden. Mali hat offenbart, wie rasch der Bedarf nach solch einer Mission entstehen kann. Nicht zuletzt müssten auch weitere Bereiche der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wie Pooling and Sharing, Smart Defence, Rüstungsvorhaben, militärische und zivil-militärische Forschung und Entwicklung etc. gemäß dieses Rahmenplanes positioniert und abgewogen werden.

Insgesamt muss, um noch einmal die Worte de Maizières aufzugreifen, die Überschrift der Agenda lauten: Nicht NATO oder EU, sondern NATO und EU – in kluger Arbeitsteilung. Den Weg in diese Richtung müssen beide Organisationen ebnen, ebenso wie die maßgeblichen Akteure und Vertreter der Einzelstaaten. Durch eine funktionale Trennung von EU und NATO bei gleichzeitiger enger Vernetzung und Abstimmung würden die Bereiche Politik und Militär wieder enger aneinander gebunden werden und in das rechte Verhältnis gesetzt werden. Auf Konflikte könnte ganzheitlicher reagiert werden; Krisenherden realistischere Perspektiven eröffnet werden. In dieser strategischen, militärisch-zivilen Dichotomie könnte die NATO die militärischen Defizite der EU ausgleichen; umgekehrt die EU das politische Defizit der NATO. Denn unstrittig ist, dass die enge Verbindung zwischen den Sphären Militär und Politik nachwievor Bestand haben muss. So gilt auch heute noch das bekannte Zitat Carl von Clausewitz’:

“Das Unterordnen des politischen Gesichtspunktes unter den militärischen wäre widersinnig, denn die Politik hat den Krieg erzeugt; sie ist die Intelligenz, der Krieg aber bloss das Instrument, und nicht umgekehrt.”


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